late middle ages 1400 – 1520 | SPÄTMITTELALTER

Im 15. Jahrhundert kündigt sich in den Ländern nördlich der Alpen, ähnlich wie in Italien, ein Umbruch in der Kunst an. Für die Epoche verwendet man nicht den Begriff Renaissance, sondern benennt sie neutral Spätmittelalter. Kennzeichnend ist die Detailtreue des einsetzenden Naturalismus, der den bisher vorherrschenden lyrischen weichen Stil ablöst. Neben den naturalistischen Motiven spielt die Porträtdarstellung auch im Schmuck eine besondere Rolle.

 

Im 15. Jahrhundert entwickeln sich erstmals in der Geschichte weltweite wirtschaftliche Verflechtungen. Die Entdeckung der Welt und des Menschen ist das Thema zwischen 1400 und 1500. Die mächtigen Herrscher Frankreichs, Spaniens, Portugals und Englands streben nach mehr Macht und Reichtum. Afrikanische Staaten handeln mit Asien und Europa. Auf der Suche nach wertvollen Rohmaterialien befahren die Portugiesen verstärkt ihre Seewege nach Indien. Kolumbus überquert den Atlantik, seine Entdeckung Amerikas 1492 und Vasco da Gamas Afrikaumsegelung 1498 öffnen neue Handelsrouten. Die Gewinner sind Händler, Handwerker, Bankiers und Ratsherren. Sie können im Schutz der sich entwickelnden Städte ein zunehmend freies, von weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten unabhängigeres Leben führen. Die Entdeckung des Menschen als souveräne, autonome Persönlichkeit bietet dem Individuum Entfaltungsmöglichkeiten. Das städtische Bürgertum und kleine Fürstenhöfe bilden einen fruchtbaren Nährboden zur Persönlichkeitsbildung.

Das Reich der Burgunder Herzöge ist um 1400 einer der reichsten Europas. Burgundische Mode ist überall tonangebend. Die aufwendige Bekleidung wird von prächtigen Schmuckstücken ergänzt. Die Erfindung der Körperemail ist für die Schmuckgestaltung mit bildhaften Gestaltungen von großer Bedeutung. Ansteckbroschen zeigen kleine figürliche Szenen. Steinen kommt symbolische Bedeutung zu. Vegetabile Elemente wie getriebene Blätter sind beliebt. Aufwändig gearbeitete Abzeichen, von Ordens- und Gesellschaftsketten demonstrieren den sozialen Stand des Trägers.

In der Goldschmiedekunst werden erstmals im großen Stil Formen und Gegenstände des Alltags veredelt, reiche Bürger und Stadtväter ahmen den Adel nach. Ratssilber wird zum Hauptstück städtischer Repräsentation und dient gleichsam zur Vorsorge: Gold und Silber wird nicht wie heute in Barren gegossen, sondern in künstlerisch veredelter Form gehortet, was gleichsam Kreditwürdigkeit signalisiert.

Im selben Zeitraum werden in Italien Architektur, Literatur, Philosophie und Kunst der klassischen Antike wiederentdeckt. Diese Verehrung des antiken Geisteslebens, das als Leit- und Vorbild anerkannt wird, führt zum Humanismus. Von Florenz aus verbreitet sich die Renaissance über ganz Europa.

„Ein Stück Welt zu spiegeln“, das ist die neue Errungenschaft der italienischen und niederländischen Meister mit ihrer realistischen Malerei Anfang des 15. Jahrhunderts. Der Geist der Neuerung setzt sich nun in vielen Gebieten durch und markiert einen Neuanfang – den Beginn der „Neuzeit“.Es ist auch eine Zeit des wissenschaftlichen Fortschritts, erster Ansätze einer exakten und systematischen Naturwissenschaft, wie sie da Vinci, Kopernikus oder Alberti betreiben. Der maschinelle Buchdruck wird 1457 von Johannes Gutenberg erfunden, erleichtert die Verbreitung des Geschriebenen und ermöglicht die Demokratisierung des Lernens. Peter Henlein erfindet in Nürnberg die Taschenuhr.

Schon im Mittelalter gibt es für Gold- und Silberschmiede Bestimmungen über den Feingehalt der Legierungen. Seit dem 15. Jahrhundert muss es mit dem Meisterzeichen garantiert sein. Ihm wird – nach städtischer Prüfung – das Beschauzeichen hinzugefügt. Kennzeichnend für das 15. Jahrhundert ist – im Gegensatz zum internationalen schönen Stil um 1400, der in ganz Europa anzutreffen war -, dass nahezu alle Städte in Italien, Flandern und Deutschland ihre eigenen „Schulen“ haben. Das heißt, besondere Eigenarten, Techniken, Mustervorlagen werden vom Meister an den Schüler weitergegeben und daran sieht man jetzt auf einem Blick, aus welcher Stadt ein Werk kommt. Die wichtigsten Techniken für die Formgebung sind bis heute Treiben, Schmieden, Gießen und für die Verzierung der Oberfläche Ziselieren, Punzieren, Gravieren, Tauschieren, Ätzen, Niello, Granulation, Filigran und verschiedene Emailtechniken. Seit 1476 beginnt man in den Niederlanden Edelsteine in Facetten zu schleifen, was ihren Wert erhöht.