gothic 1130-1400 | Gotisch
Der italienische Kunsttheoretiker Giorgio Vasari prägt die Bezeichnung Gotik für eine Stilepoche der europäischen Kunst. „Gotico“ bedeutet fremdartig, barbarisch und bezieht sich auf Vasaris Geringschätzung gegenüber mittelalterlicher Kunst nördlich der Alpen. Um 1130 beginnt in Frankreich die Epoche der Gotik mit dem Bau der Abteikirche Saint Denis. Nach England gelangt der Stil 1180, nach Deutschland erst um 1250.
In der Kunst der Gotik spiegeln sich höfische Pracht und bürgerlicher Stolz, aber auch fanatische Religiosität. Wirtschaftlich und kulturell kommt es zu einer neuen Entfaltung Europas. Neue Gebiete werden erschlossen, Produktionsmethoden werden verbessert, wodurch Handwerk und Handel gefördert werden. Die Hanse wird der mächtigste Städtebund deutscher Kaufleute. Mit dem Aufblühen der Handelsbeziehungen folgen neue Stadtgründungen an den Transport- und Handelswegen. Der Aufstieg der Städte beginnt. Bis 1250 verzehnfachen sich die Zahl der Stadtrechte in Europa. „Stadtluft macht frei“, ist das Motto der Zeit. Um sich der Leibeigenschaft zu entziehen siedeln sich Unfreie, Leibeigene und Bauern an. Der Weg wird frei für die Entwicklung und Machtausdehnung der Freien Reichsstädte und eines aufstrebenden Bürgertums.
Mit dem neuen Wohlstand steigt das Bedürfnis nach Schmuck. Schmuckhandwerker treten in den Dienst weltlicher Höfe und reicher Herren. In größeren Zentren organisieren sie sich in Gilden oder Zünfte. Im 13. Jahrhundert, dem Zeitalter der großen Kathedralen, ist Frankreich das reichste und mächtigste Land, das Zentrum Europas. Die Universität von Paris ist der Mittelpunkt des abendländischen Geisteslebens. Im 14. Jahrhundert konkurrieren die pompösen Hofhaltungen der Luxemburger in Prag und der Habsburger in Wien mit prätentiöser Selbstdarstellung um die Vorrangstellung.
In Italien richten Künstler ihr Augenmerk weiterhin nach Osten gegen Byzanz als Vorbild.
Parallel zur Entwicklung in der Architektur, die die gedrungenen romanischen Formen ablöst, werden auch Schmuckstücke immer graziler. Nicht mehr kräftige Treibarbeiten, sondern feine detailierte Formen sind gefragt.
Während des Mittelalters wird Schmuck vor allem zur Unterstreichung der Individualität getragen. An ihm lässt sich – für jeden sichtbar – die gesellschaftliche Stellung des Trägers ablesen. Königshäuser und Adel tragen Gold, Silber und kostbare Edelsteine. Das Bürgertum ist oftmals durch rigide Bestimmungen in Form von städtischen Kleiderordnungen in seiner Freiheit Schmuck zu tragen, eingeschränkt. Einfachere Stände begnügen sich mit unedlen Metallen, wie Kupfer oder Bronze. Der zeitgenössische Schmuck ist geprägt durch die Verwendung vieler Ornamente: Lilien, Ranken, Rauten und Maßwerk sind typische Verzierungen. Durch die Erfindung des Köperemail – „Email en ronde-bosse“ können nun Figuren vollplastisch emailliert werden. Farben – Email und prachtvolle Edelsteine – sind in der modischen Gesellschaft hochgeschätzt. Bis zum späten 14. Jahrhundert sind Edelsteine üblicherweise poliert, nicht geschliffen. Ihr Wert hängt von Größe und Glanz ab. Einige Preziosen haben kryptische oder magische Inschriften, die ihren Träger schützen sollen. Der Schmuck ist gekennzeichnet durch Symbolik, Farb-Licht-Effekte wie auch durch figürliche Szenen. Vielfach tauchen organische Formen wie Blätter und Pflanzen auf, reicher Perlen- und Juwelenbesatz wie auch Email.
Eine der beliebtesten und kostbar ausgestatteten Schmuckform ist der Fürspann, eine Ringbrosche, der wie die Agraffe zum Schließen des Gewands dient. In Broschen sind rückseitig oft Inschriften eingraviert. Großer Aufwand wird auch mit polygonal geformten Fingerringen und Gürteln getrieben. Hohe Wertschätzung hat das Kuriose, und findet sich nicht nur in Wunderkammern wieder. Mit Leidenschaft wird gesammelt: Narwal- und Einhornhörner, Haifischzähne, Greifenklauen, Straußeneier und antike Münzen. Besonders beliebt sind alle Arten edler und farbiger Steine, denen man besondere Eigenschaften unterstellt: Aquamarin verspricht eine glückliche Heirat, Saphir schützt vor Skorpionbissen und heilt innere Gebrechen, Achat macht beredt, Karfunkel macht den Mann galant usw. Da die edelsten und größten Diamanten am Rand der damaligen Welt gefunden werden, glaubt man, dass sie magische Wirkung haben.