biedermeier 1815 – 1848 | BIEDERMEIER

Der Begriff Biedermeier geht zurück auf parodistische Gedichte, die unter dem Pseudonym „Gottlieb Biedermaier“ um 1855 in den Münchner „Fliegenden Blättern erscheinen. Zunächst ist der Begriff abwertend als kleinbürgerlich konnotiert. Inzwischen bezeichnet Biedermeier die Zeit des Vormärz nach den napoleonischen Befreiungskriegen zwischen 1815 und 1848 und verweist auf einen bürgerlichen Lebensstil, geprägt von Bescheidenheit, Genügsamkeit und hoher Moral. Biedermeier versteht sich als zweckmäßigere, schlichtere, handwerklich solider gefertigtes Gegenstück zum prunkvollen Empire.

Biedermeier nennt man im deutschsprachigen Raum die Zeitspanne zwischen dem Wiener Kongress 1814 und der 1848er Revolution. Frankreich bezeichnet diese Epoche als Restauration. Nach der Niederlage Napoleons ändert sich die politische Lage in Europa. Statt Freiheit des Bürgers herrscht wieder der Absolutismus der alten Herrscherhäuser, die ein strenges Regiment führen und revolutionäre Ansätze bekämpfen. Das Volk, sprich das gut bürgerliche, zieht sich angesichts der politischen Zwänge und Repressionen ins Häusliche zurück, ergibt sich romantischen Strömungen, pflegt Geselligkeit im Freundeskreis und betont die Verbundenheit mit dem eigenen Garten und Gottes Natur. Biedermeier – ein literarisches Pseudonym – ist das zeitgenössische Synonym für Spießbürgerlich, Gemütlich und Rechtschaffen.

Edelmetall ist nach dem Krieg knapp. Mit großer Kunstfertigkeit wird so anderes Material wie Koralle, Tombak, Horn oder Haar eingesetzt. Die Idee der Schlichtheit oder Einfachheit – auch durch kostspielige Verfeinerung – prägt das gesamte Kunstgewerbe. Ersatzmaterialien und – techniken machen Luxus erschwinglich. Nationales Bewusstsein und Patriotismus, einhergehend mit der Rückbesinnung auf alte Traditionen und historische Kunststile, macht sich in allen Europäischen Ländern breit. Den Anfang macht das romantische Interesse vor allem am Mittelalter. Die Begeisterung für gotische Baukunst ist in England nie erloschen und wird bereits um 1740 zur künstlerischen Maxime, dem „Gothic Revival“, erhoben. Die englische Neugotik verbreitet sich in Deutschland Ende des 18. Jahrhunderts, und besonders nach Schinkels Englandreise 1826. Diese sentimentalen Ansätze lässt auch der Schmuck des Biedermeiers erkennen, der kein einheitliches Bild bietet. Freundschafts- und Memorialschmuck aus Haaren, wie er bereits Ende des 18. Jahrhunderts als kostspielig exklusives Schmuckobjekt auftaucht, ist so beliebt, dass nicht nur geflochtene Haare, sondern sogar Landschaftsmotive in Medaillons, Armbänder und Uhrketten hergestellt werden. Als eigene Gattung ist Haarschmuck anerkannt und erhält auf der deutschen Gewerbeausstellung 1844, wie auf der Weltausstellung 1851, eine eigene Sektion. In England entwickelt sich eine Haarflechtindustrie und produziert günstigen Trauerschmuck für eine breites Bürgertum.

Aus wirtschaftlichen Gründen trägt die bürgerliche Gesellschaft wenig Schmuck. Eine sparsame Art der Schmuckverarbeitung setzt sich mit der Cannetille-Technik durch, einer Art Filigrantechnik, bei der ein Schmuckgerüst, meist aus vergoldetem Silberdraht gebildet wird. Aus einer kleinen Menge Gold und großen billigen Farbsteinen lässt sich so auf sparsamste Art auch großformatiger Schmuck herstellen. Biedermeierschmuck ist oft ein billiger, maschinell gefertigter Leichtmetallschmuck. Vor allem Ohrgehänge kommen bei den nach hinten frisierten Haaren gut zur Geltung. Um den Kopf gelegt wird wieder – wie auch in Frankreich – die nach einem Porträtgemälde Leonardo da Vincis benannte „Ferronière“ mit Stein- oder Perlenanhänger getragen. Zierkämme, Haarnadeln und -pfeile ergänzen den Kopfputz. Der Sentimentalität der 1830er Jahre entspricht der ansteckbare Vogel mit dem Herzen oder dem Zweig im Schnabel. Blumen und Zweige sind auch in dünnem Goldblech oder emailliertem Silber und vielen anderen Materialien beliebt. Überlange Gliedergürtel haben Verschlüsse in Form von kleinen Händen. Miniaturgebrauchsgegenstände hängen an den Ketten oder imitierte Troddeln und Quasten. An die Blümchenmalerei der gängigen Porzellantassen erinnern die Steinfassungen der Ringe oder Broschen. Schlangenförmige Armreife sind in allen Variationen noch bis Ende des Jahrhunderts gerne getragene Sujets. Hirschgeweihe werden geschnitzt, Grandln zu jagdlichem Schmuck in Zweigform montiert. Eine Renaissance erlebt um 1840 die Elfenbeinschnitzerei mit Erbach im Odenwald als Zentrum.

 

Berliner Eisen

Eine Sonderform des Schmucks in Deutschland ist das Berliner Eisen. Durch die Niederlage gegen Napoleon muss Preußen hohe Kriegsreparationen entrichten. Alles Edelmetall wird dafür gesammelt und eingeschmolzen. „Gold gab ich für Eisen“, heißt es in der Zeit der Befreiungskriege 1813-1815, gelegentlich auch auf Armbändern. Als Entschädigung für ihren Goldschmuck und zur Demonstration ihres Patriotismus erhalten die Damen Schmuck aus Eisen. Der Großteil des Eisenschmucks ist seit 1804 in Berlin im Feingussverfahren hergestellt. Eine dünne Lackschicht kennzeichnet die matte Schwarzfärbung des Berliner Eisens. Gotische Ornamentformen tauchen erstmals auf. Beliebtes Motiv sind Bildniskameen, nach Wedgewood-Motiven. Um 1830 erreicht die Beliebtheit des Berliner Eisens, das viel nach Frankreich, England, Holland und Russland exportiert wird, ihren Höhepunkt.