art nouveau 1880 – 1915 | ART NOUVEAU

In Frankreich und Belgien heißt die künstlerische Bewegung, die etwa seit den 1880er Jahren eine Verbindung zwischen Kunst und Leben sucht und als geistige Erneuerung verstanden wird, Art Nouveau. Der Name geht auf eine Pariser Galerie „La Maison de L’Art Nouveau“ zurück, die eine Schlüsselstellung in der Entstehung und Verbreitung des neuen Stils – entsprechend des britischen Arts and Crafts Movement – einnimmt. Ostasiatische Kunst prägt die Formensprache des Art Nouveau und dessen Vorliebe für organische Formen und verspielte Linienführungen. Die Verbindung des Kunstgewerbes zum Symbolismus zeigt sich besonders in der Motivwahl von Frauenköpfen, Insekten, Fischen, Schwänen und Blüten.

Die Forderung das Kunsthandwerk vom überladenen Dekor historischer Zitate zu befreien, geht von Englands Reformbewegung der Arts- und Crafts aus. Die Idee verbreitet sich auf dem Kontinent später – um 1890 und bis zum Ersten Weltkrieg 1914 -, doch nicht mit einer Rückbesinnung auf mittelalterliche Werte, sondern mit der Suche nach einem neuen Stil. Der Schlachtruf „Neue Kunst“, „Art Nouveau“ erhebt sich vielerorts. Zurück geht die Stilbezeichnung auch auf eine 1895 in Paris eröffnete Galerie „La Maison de l’Art Nouveau“. Der Galerist Samuel Bing gilt als Schlüsselfigur: Er macht das Pariser Publikum mit den Werken internationaler Künstler bekannt, etwa des Amerikaners Louis Comfort Tiffany (1848 – 1933), oder des Japaners Katsushika Hokusai (1760 – 1849). In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts sind es unter anderem seine Werke, die insbesondere in der französischen Kunst ein wahres Japanfieber auslösten. Großen Einfluss übt ein belgischer Architekt aus, der systematisch nur noch selbsterfundene Ornamente und Formen verwendet: Victor Horta (1861 – 1947). Er verzichtet auf Symmetrie und sucht Schlangenlinien. Ohne den Einfluss japanischer Kunstwerke lassen sich seine neuen Formen aber nicht erklären. Erstmals stellt Japan 1878 bei der Pariser Weltausstellung aus und überrascht Europa mit seiner Kunst. Der Import japanischen Kunstgutes floriert. Inspiriert durch die neuen ostasiatischen Vorbilder finden Jugendstilkünstler ihre Motive hauptsächlich in der Natur. Der Mensch, das Tier und die Pflanze wird ornamental verwandelt. Eine Eigenheit des französischen Art Nouveau ist die deutlich enge Verbindung zum literarischen Symbolismus: Die Vorliebe der Schmuckkunst für schwingende Frauenköpfe, Insekten, Fische, Schwäne und Blüten – oft sind die Motive symbolisch überfrachtet – ist evident. Neben diesen Motiven spielen auch geometrisch strenge, sachliche Formen eine große Rolle in Architektur, Inneneinrichtung und im Kunstgewerbe.

Die ganze Pracht dieser Epoche zeigt sich in der revolutionären Schmuckproduktion der Jugendstildesigner. Um die Jahrhundertwende ist von Glanz und Wert der Materialien bis hin zur Einfachheit in Gestaltung und Materialeinsatz alles zu finden. Paris ist um 1900 weiterhin die unumstrittene Hauptstadt der Schmuckkunst. Unter den großen Entwerfern ragt besonders René Lalique (1860 – 1945) heraus, dessen phantasievolle Kreationen die Welt begeistern. Der „Erfinder des modernen Schmucks“, wie ihn der Glaskünstler Emile Gallé nennt, arbeitet mit Elfenbein, mit unregelmäßigen Barockperlen, farbigen Schmucksteinen und Email. Er brilliert als Erster darin, die Effekte der Edelsteine im lichtdurchlässigen Fensterglas-Email, dem sogenannten „pique-a-jouer“, nachzuempfinden. Er schafft nicht nur eine völlig neue Motivwelt und Formsprache – wobei er seine Kreationen unter ein besonderes Thema stellt -, sondern setzt sich auch über geltende Regeln der Juwelierkunst hinweg. Etwa indem er farbiges Email mit Edelsteinen und Edelsteine mit preiswerten Materialien, zum Beispiel Horn verbindet – immer auf der Suche nach dem künstlerischen Wert eines Schmuckstücks, der nicht identisch mit dessen Materialwert sein muss. Schmuckstücke von Henri Vèver (1854 – 1942) unterscheiden sich deutlich von Lalique. Mit ihren symmetrischen Konturen und abstrahierten organischen Motiven, neigen sie stärker zu geometrischen Mustern. Neben Schmuckkreationen ist Vèver bekannt für seine Arbeit über die Geschichte des französischen Schmucks im 19. Jahrhundert. Der Pariser Juwelier Georges Fouquet (1850 – 1929) gehört mit zu den bedeutendsten Schmuckmachern seiner Zeit. 1895 übernimmt er das Geschäft seines Vaters und arbeitet nach Entwürfen Alphonse Muchas (1860 – 1939), mit denen er auf der Weltausstellung 1900 triumphiert. Berühmt sind seine Preziosen für die Schauspielerin Sarah Bernhard. Auf der Suche nach besonderen Effekten verwendet er häufig Opal und Aquamarin mit transluzidem Email. Seine Schöpfungen zeichnen sich durch raffinierte Verarbeitung und teuerste Materialien aus. André-Fernand Thesmar und Eugène Feuillâtre gelten als die unbestrittenen Meister der Emaillkunst, an Schmuckstücken in Fensteremail.

Neben Paris entwickelt sich gleichzeitig auch in Brüssel eine florierende Jugendstilbewegung, die von den beiden so gegensätzlichen Künstlern Philippe Wolfers (1858 – 1939) und Henry van de Velde (1863 – 1957) geprägt ist. Wolfers entstammt einer alten Goldschmiedefamilie und ist um 1900 der bedeutendste Juwelier in Brüssel. Ab 1893 setzt er erstmals Elfenbein ein, das er von König Leopold II. aus der Kolonie Kongo zur Verfügung gestellt bekommt. Wolfers Entwicklung wie sein internationaler Ruf, korrespondiert mit jener von Lalique in Paris. Pflanzen- und Tiermotive setzt Wolfers symmetrisch und stärker stilisiert ein. Jedes einzelne Werk erhält einen geheimnisvollen Namen, wie etwa Orchidée ailée. Die Entwürfe des Belgiers sind einzigartig, gewissenhaft gezeichnet und nummeriert in seinem Tagebuch eingetragen. Nach der Ausführung zerstört er die Modelle. In der Wahl der kostbaren Materialien, der kunstvollen wie technischen Vollendung, zählen sie zu den erlesensten Schöpfungen des belgischen Jugendstils. Ganz im Gegensatz zu den floral-vegetabilen Schmuckstücken arbeitet van de Velde mit dynamisch-schwingenden Abstraktionen. Er beschäftigt sich als Architekt, Innenausstatter, Grafiker und Designer mit der Wirkung von abstrakten Ornamenten und freiem Linienfluss und verbreitet seine Formensprache ab 1901 auch in Deutschland. Als Leiter der Kunstgewerbeschule in Weimar ist er Vorläufer des Bauhauses. Seinen Stil kennzeichnet die Linie mit dem „großen Atem“, die Eleganz der Konturführung.